Ludwig van Beethoven: Musik auf dem Prüfstand der Taubheit.
Für Menschen mit Behinderung kann der berühmte Komponist Ludwig Van Beethoven (1770-1827) als Symbol für Willensstärke und Widerstandsfähigkeit angesehen werden: Der "letzte Vertreter der Klassik" komponierte nämlich auch dann noch klassische Musik - und einige seiner anerkanntesten Werke -, als er taub wurde. Seine Behinderung hinderte ihn also nicht daran, großartige Werke zu komponieren: Er war bereits schwerhörig, als er die Ode an die Freude (die später zur Hymne der Europäischen Union wurde) schrieb.
Mit seinen kraftvollen Meisterwerken hat Van Beethoven, Kämpfer für Freiheit, Menschenrechte und sozialen Fortschritt, die Musikgeschichte wie kaum ein anderer geprägt. Werfen wir deswegen einen genaueren Blick auf diesen Künstler mit ungewöhnlichem Willen ...
BEETHOVEN, EIN JUNGES WUNDERKIND AUF DEN SPUREN MOZARTS
Ludwig Van Beethoven wurde 1770 in Bonn als Sohn von Johann Van Beethoven geboren, einem Musiker und ziemlich tyrannischen Familienvater. Dieser erkannte sehr schnell die Veranlagung seines Sohnes und wollte ihn finanziell ausnutzen. Geprägt von der Erinnerung an Mozart, der Österreich einige Jahrzehnte zuvor beeindruckt hatte, wollte der Vater aus seinem Sohn ein junges Wunderkind machen und brachte ihn bereits im Alter von fünf Jahren zur Musik. Schon früh nahm er ihn auf verschiedenen Musiktourneen mit, die jedoch nicht sehr erfolgreich waren.
Ludwig van Beethoven, der aus relativ einfachen Verhältnissen stammte, verließ daher mit 11 Jahren am Ende der Grundschule die Schule. Später nahm er das Studium wieder auf, um die seiner Meinung nach vorhandenen kulturellen Defizite auszugleichen. Er beginnt, seinen Lebensunterhalt mit Musik zu verdienen: Mit etwa vierzehn Jahren ist er bereits stellvertretender Organist am Hof des neuen Kurfürsten! Sein ganzes Leben lang wird diese Frage zentral bleiben: Wie kann er unabhängig sein? Wie kann ihn seine Kunst unabhängig machen? Als Künstler ist er auf die Renten angewiesen, die ihm von reichen Aristokraten zugesprochen werden. Durch seine Behinderung wurde diese finanzielle Problematik für ihn umso schwieriger. Als er taub wurde, schlossen sich für ihn viele Türen in der Musikwelt.
Seine ersten Erfolge als Pianist hat Ludwig seinen Begegnungen zu bedanken: Kurfürst Max-Franz und später Graf Ferdinand von Waldstein nahmen ihn unter ihren Schutz. Dank seiner Beziehungen reiste er 1787 erstmals nach Wien, wo er Mozart kennenlernte, der über ihn gesagt haben soll: "Gebt auf den da acht, der wird in der Welt von sich reden machen". Welche Ehre für den damals noch 17-Jährigen! Im Jahr 1792 ging er schließlich nach Wien, um bei Haydn, einem anderen bedeutenden österreichischen Komponisten, Musik zu studieren. Einige Jahre später und dank seiner verschiedenen Lehrer begann er, seine ersten großen Erfolge als Klaviervirtuose zu feiern. Ab 1795 begann er auch mit der Komposition von Klaviersonaten ... bevor er nach und nach von der gesamten Wiener Bevölkerung gelobt wurde und sich als Komponist durchsetzte.

BEETHOVEN, EIN HALBHERZIGER ERFOLG
Trotz Beethovens beruflichen Erfolg, mit dem er zur Anerkennung gelangt, wird sein Leben durch persönliche Schwierigkeiten getrübt.
Als er gerade einmal zwanzig Jahre alt war, traten die ersten Anzeichen seiner Taubheit auf: 1820 war er schließlich vollständig taub. Außerdem litt er an verschiedenen Krankheiten, darunter sicherlich auch an der Paget-Knochenkrankheit, die zu Knochendeformationen führte. Im Laufe der Jahre wurde diese Krankheit immer schlimmer: Am Ende seines Lebens passte er weder in seine Schuhe noch in seinen Hut. Schließlich hatte er öfter Bauchschmerzen - sicherlich eine Folge seiner chronischen Zirrhose, die später zu seinem Tod führen sollte. Aufgrund der geringen medizinischen Kenntnisse der damaligen Zeit wurde keine Diagnose gestellt, sodass er keinen Zugang zu einer wirklichen Behandlung hatte.
Zu seinen medizinischen Schwierigkeiten kam noch seine persönliche Einsamkeit hinzu. Er musste mehrere gescheiterte Liebesbeziehungen hinnehmen und zog sich in die Einsamkeit zurück, die er in seinem "Brief an die unsterbliche Geliebte" zum Ausdruck brachte. Das berühmte Klavierstück "La lettre à Élise" ist in diesem Zusammenhang eine recht interessante Anekdote: Der Legende nach wurde dieses Stück für eine enttäuschte Liebe geschrieben ...
Seine Situation, sowohl gesundheitlich als auch in Bezug auf seine Liebe, lässt ihn in eine schwere Depression fallen: Die Lektüre seiner Korrespondenz beweist, dass er mehrmals an Selbstmord denkt, insbesondere im Brief des "Heiligenstädter Testaments". Man muss sich jedoch in den Kontext der damaligen Zeit versetzen. Aufgrund der katholischen religiösen Moral waren Selbstmörder und diejenigen, die einen Selbstmordversuch unternehmen, mit Scham und strafrechtlichen Sanktionen belegt. Ein Beweis für die Schande, die im 18. Jahrhundert mit Selbstmord verbunden war: Das Heiligenstädter Testament wurde erst nach dem Tod des Autors gefunden und nie verschickt. In diesem Kontext konnte Ludwig nicht die psychiatrische und psychologische Hilfe finden, die er benötigte.
Angesichts der Widrigkeiten ist die Musik für den Komponisten ein Ausweg. In seinen Briefen an seine Brüder spricht er von seinen düsteren Gedanken, aber er erklärt dort auch, dass er seine musikalische Karriere nicht beenden möchte. Hat die Musik hier also eine rettende Rolle gespielt? Um Durkheims Typologie in “Der Selbstmord” aufzugreifen: Beethoven schien seinen Platz in der Gesellschaft nicht gefunden zu haben, vor allem wegen seiner Taubheit, die ihn von der Welt abschirmte. Die Musik ermöglicht es ihm gerade, sich in die Gesellschaft zu integrieren, indem sie anerkannt wird und ihm einen Lebenszweck gibt, ein Ziel, in das er seine ganze Intelligenz und Energie investieren kann.

DIE FRAGE DER INKLUSION
Als Reaktion auf seine manchmal überraschenden Einstellungen und sein defensives Verhalten wurde Ludwig van Beethoven von der Gesellschaft seiner Zeit als Misanthrop angesehen, als jemand, der die Gesellschaft von Menschen nicht mag. Doch die Lektüre seiner Korrespondenz lässt uns einen ganz anderen Charakter wahrnehmen.
Das Heiligenstädter Testament, Beethoven, 6. Oktober 1802."O ihr Menschen, die ihr mich für ein hasserfülltes, eigensinniges, menschenfeindliches Wesen haltet oder mich als solches hinstellt, wie ungerecht seid ihr! Ihr kennt nicht den geheimen Grund für das, was euch so erscheint. [...] Bedenkt, dass ich seit sechs Jahren an einer schrecklichen Krankheit leide, die durch inkompetente Ärzte noch verschlimmert wurde. Von Jahr zu Jahr wurde ich von der Hoffnung auf Besserung enttäuscht, [...] ich musste mich frühzeitig isolieren, ein einsames Leben führen, weit weg von der Welt. [...] Wenn ihr dies jemals lesen solltet, dann denkt, dass ihr nicht gerecht zu mir gewesen seid, und der Unglückliche möge sich damit trösten, dass er jemanden findet, der ihm ähnlich ist und der trotz aller Hindernisse der Natur dennoch alles getan hat, um in die Reihe der Künstler und wertvollen Menschen aufgenommen zu werden."
Wenn man diesen Briefwechsel liest, erscheint Beethoven in einem ganz anderen Licht. Er ist ein Musiker, der versucht, seine Behinderung zu verbergen. Er wird von der Gesellschaft missverstanden und kann nicht darüber sprechen. Er befindet sich in einer sehr schwierigen Lage: Er ist auf seinen Beruf angewiesen, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Seine zunehmende Taubheit gefährdet seine Geldeinnahmen und den Fortbestand seines Arbeitsplatzes. Trotz seiner Fähigkeiten und seiner unbestreitbaren Begabung hätte er angesichts seiner Schwierigkeiten jede musikalische Karriere aufgegeben. Und doch ... Die Geschichte zeigt, dass es für Ludwig als Musiker auch in Zukunft noch schöne Erfolge geben kann.
EIN KREATIVER ZWANG

Beethoven, der Kult-Komponist schlechthin, ist also eine kontrastreiche Persönlichkeit. Das Leben dieses Vorzeige-Komponisten der klassischen Musik war mit vielen Hindernissen geprägt: Depressionen, Selbstmordgedanken, Behinderung und Krankheit - die verschiedenen Prüfungen des Lebens brachten ihn in eine Einsamkeit, die sich tiefgreifend auf sein Werk auswirken. Dennoch hätte es Beethovens letzte Werke ohne seine Taubheit nicht gegeben: Sein Vermächtnis existiert dank und wegen seiner Behinderung.
In gewissem Sinne kann die Einschränkung, die seine Behinderung mit sich brachte, als kreative Kraft gesehen werden; seine Taubheit hinderte ihn daran, sich ausschließlich der Interpretation zu widmen, und trieb ihn zur Komposition, wo er seine größten Erfolge feierte und ewigen Ruhm erlangte. Seine Taubheit ermöglichte es ihm auch, Grenzen zu überschreiten: So schuf er Sonaten, die die Möglichkeiten des damaligen Klaviers bis an die Grenzen ausnutzten, angetrieben von seiner grenzenlosen musikalischen Kreativität.
Dies geschah nicht ohne Rückschläge. Seine Zeitgenossen hielten den Großteil seiner Sinfonien für unspielbar und waren der Meinung, dass er sich der klanglichen Möglichkeiten nicht mehr bewusst war. Er wurde zudem bei seinen Konzerten mehrfach ausgebuht. Doch der Komponist war sich bewusst, dass er für künftige Generationen schrieb und dass seine Zeit noch nicht bereit für die musikalischen Umwälzungen war, die er vorschlug. Beethoven war seiner Zeit voraus und bereitete die Entwicklung zur Epoche der Romantik vor.
Ohne diese Schwierigkeiten wäre Beethovens Philosophie eine ganz andere gewesen. Sie präsentiert eine humanistische und universelle Botschaft und durchdringt seine Musik: die Bewunderung für das Leben, die menschliche Stärke und die Kraft der Solidarität. Sein berühmtestes Werk, die Neunte Symphonie, zu der auch die Ode an die Freude gehört, ist der ultimative Beweis für den Triumph der Freude und der Brüderlichkeit über die Verzweiflung.